In meiner Schreibwelt gibt es drei fast verbotene Worte:
Charme – Da wird wird schlecht. Klingt nach gezwungenem Lächeln in der Dienstleitung.
Flair – Oh, ich fühle förmlich die deutsche Gemütlichkeit, die auf französisches savoir vivre macht.
Ambiente – klingt nach rustikalen Möbeln mit Kunstfurnier in pseudohistorisierender Umgebung voller zusammengetragener Geschmacklosigkeiten. Messingblech als des Bürgers Goldersatz.
Die drei Worte Charme, Flair, Ambiente sagen im Grunde nichts aus, daher sind sie mir so zuwider. Also, benutzen wir sie heute mal bis zum Gehtnichtmehr …
Darf sich ein Hotel ungestraft „Ambiente“ nennen, wenn es sich in einem häßlichen Haus befindet? Was sollte mit dem verschnörkelten Namenszug mitschwingen? Tradition? Fürstlichkeit? Deswegen auch der Residenz- Untertitel? Wozu dann noch Ambiente? Residenz war doch schon dick genug aufgetragen für einen mindergenialen 90er-Bau.
Ist nicht eigentlich alles Ambiente, also Umgebung, was so in der Stadt herumsteht, sei es Hotel oder Kaufhaus oder Wohnhaus.
Wenn man sagt: „dieses Café hat so einen schönes Flair“ was sagt das dann eigentlich aus?
Ist es das Zusammenwirken von freundlicher Bedienung und angenehmer Musikuntermalung (schließlich gibt es auch für Musik diese bekloppte Bezeichnung, man nennt sie dann englisch „ambient“. Wenn sie gespielt wird, umgibt sie uns also…). Oder ist es ein guter stilsicherer (noch so ein Wort: Stil) Geschmack in der Einrichtung des Cafés gekoppelt mit guter Qualität bei den angebotenen Produkten? Hat man das jemals schon einmal angetroffen? Also, sollte man sich durch solch eine Namensgebung nicht allzu weit hinauslehnen. Das setzt meine Erwartungshaltung so hoch, dass ich garantiert schon am Türgriff aus dem Baumarktbilligsortiment enttäuscht werde.
Da verstehe ich es eher, wenn ein Einrichtungsladen für Ambiente wirbt, das könnte man dort ja tatsächlich mit den erstandenen Gegenständen herstellen entgegen der Kahlheit so mancher Wohnung.
Oder auch der Damenmodenladen, der mit Charme und Chic wirbt, beides Attribute der Unterarmhandtaschen tragenden Kostümdame der 50er Jahre. Aber in der Kombination klingt es durchaus glaubhaft und man wäre fast enttäuscht, wenn die Verkäuferin keinen Dutt hätte – oder wenigstens eine sehr schmetterlingsspitze Brille.
„In diesem Sonnenstudio hat das Personal besonders viel Charme“. Na, da möchte ich gleich davonrennen. Das kann sie sich nämlich stecken, ich möchte lieber von einer aufrichtig schlechtgelaunten Angestellten bedient werden- so, wie es sich heute bei den entsprechenden Arbeitsverhältnissen und dem dazugehörigen Lohnniveau gehört.
Da empfinde ich das gesamte Auftreten dieses Kosmetikstudios wesentlich glaubwürdiger. Die Blumenkästen und Sprossenfenster, die Farbgebung der Fassade und der Retro- Schriftzug versprechen handfeste, gutbürgerliche, traditionelle Stimmung beim Nagelfeilen.
Davon könnte sich so manches Café oder Hotel eine Scheibe abschneiden: originaler, regionaler Geschmack macht meistens die beste Kasse: nämlich bei Touristen und Einheimischen gleichermaßen.
Sollte ich doch einmal irgendwo eine glaubwürdig charmante Bedienung antreffen, muss wohl irgendetwas mit dem Gehalt und dem Team stimmen. Dahinter wittere ich einen guten Chef. Der muss ein gutes Gespür haben für seinen Wirkungsort.
Dann glaube ich auch bei einem noch so schrecklichem Ambiente sogar mal an Flair. (deutsch: Das Gespür, die Witterung)