„Wenn der Vorhang zusammengebunden ist heißt das, dass mein Mann auf Dienstreise ist, dann kannst Du kommen!“
Ist noch keinem Nachbarn der Zusammenhang zwischen den Dienstreisen des Mieters aus der dritten Etage und den Besuchen seines besten Freundes bei der Frau des Verreisten aufgefallen?
Man kennt ja allgemein die Zeichen geheimer Liebe, in Baumrinden geritzt oder auf Schulbänken verewigt. Es gibt die christlichen Symbole der Hausweihungen mit der Kreidezeile der 3 heiligen Könige an der Türe des Hauses; man hört die scheinbar rätselhaften Kaufhausdurchsagen: „zwoeinundreißig bitte an die 19!“.
In meiner Kindheit haben die Scherenschleifer und die Bettler, die durch unser Viertel zogen, mit Kreide Zeichen an unsere Hauswände gemalt, womit sie den anderen Bettlern mitteilten: „gibt gerne“ oder: „ist geizig!“, oder: „Vorsicht böser Hund!“.
Die sind allesamt relativ leicht zu entziffern und zuzuordnen. Besonders, wenn man demselben Kulturkreis angehört. Spannender wird es dann schon, wenn man sein Blickfeld etwas erweitert und die anderen Zeichen zu deuten versucht, die offensichtlich von Menschen angebracht wurden.
Mit ein wenig Kombinationsgabe und besonders dann, wenn man wach durch die Welt geht, kann man noch viele andere kleine Geheimzeichen entdecken, die sich andere Menschen setzen. Mit neuen Materialien, auf neuen Ebenen (auch mal am Boden) oder mithilfe bereits vorhandener Gegenstände, die man nur verrücken, bewegen oder verdrehen muss, entstehen und verbreiten sie nützliche oder gar konspirative Informationen, freundliche oder feindliche Beschwörungen, Fragen und manchmal sogar schon die Antworten darauf.
Für unser Auge fast unsichtbar und mit unseren eigenen Codes nicht zu erklären, sind sie die Wegweiser für eine Nebenwelt, die mit aller Finesse kommuniziert, ohne sich uns offenbaren zu müssen.