Als Bewohner Berlins übersieht man nach gewisser Zeit die wichtigen Orte und Denkmäler, die in jedem touristischen Führer stehen. Man baut sie einfach als „normal“ in sein Blickfeld ein und geht daran vorbei.
Oder es ist so, dass man solche Orte absichtlich meidet, weil man nicht fälschlich als Tourist eingeordnet werden möchte. Oder man hat eine überhebliche innere Abwehr, weil man nicht so billig gestrickt erscheinen möchte, dass man sich „Sehenswürdigkeiten“ ansehen müsste. Wo man doch meint, mehr Kunstverstand zu haben als alle westfälischen oder schwäbischen Reisegruppen zusammen!
Vielleicht entdeckt man einige dieser Orte auch erst gar nicht, weil man sich noch nie einen Reiseführer zur Hand genommen hat um zu sehen, was die Stadt, in der man wohnt, so zu bieten hat. In Berlin fällt einem auf, dass die Menschen, die im Osten wohnen, schon mehrmals den Westen ausgekundschaftet haben, die West- Berliner aber selten „drüben“ waren. Was gibt’s da schon zu gucken außer Verfall?
Doch es lohnt sich schon, allen Klischees einmal nachzugehen und ganz Berlin für sich zu entdecken.
Wer sich also frei machen möchte von all diesen bescheuerten Befindlichkeiten, dem sei ein Tipp ans Herz gelegt: ganz früh aufstehen! Berlin erwachen sehen! Da erntet man viele unvergessliche Eindrücke.
So mache ich mich von Zeit zu Zeit auf, um morgens um 5 Uhr die Stadt erwachen zu sehen. In einem Licht, welches einen verzaubern kann. Nur wenige Menschen sind schon (oder noch) unterwegs vor dem Berufsverkehr, alles hat eine Ruhe und Stille, welche die Orte, Denkmäler und Plätze in einer Grazie erscheinen lässt, die man im täglichen Lärm und Gewimmel der Großstadt nicht mehr findet.
Auch die vielfach architektonisch überbewertete Ruine der Gedächtniskirche stinkt gegen den Beton- Neubau daneben komplett ab. Sicher, Ruinen habe etwas Magisches an sich; aber der Entwurf des Architekten von „Lippenstift und Puderbox“ im Morgenlicht, alleine, ohne Menschenansammlungen und Straßenlärm, hat etwas entrückend Erhabenes. Moderne, Luft, Vision, Demokratie, Hoffnung, Maßstab.
Man kann die Zeit damals besser verstehen, wenn man nicht abgelenkt wird.
Ich möchte einmal im Leben nach Brasilia fahren dürfen!