Adieu, altes Haus

1991 habe ich für kurze Zeit in Hamburg gelebt, um dort ein Foto- Praktikum zu machen. In meiner Freizeit streifte ich mit meiner Kamera durch die Gegend und hielt fest, was mich beeindruckt hat.

Auch an dieser Straßenecke im Hafenviertel kam ich oftmals vorbei und jedes Mal stockte mir der Atem: solch ein schönes Eckgebäude mit spannendem industriellen Nebengebäude hatte ich schon lange nicht mehr als Ruine gesehen. Das hätte mein Traumhaus werden können und das Industriegebäude daneben mein Fotoatelier.

Was mich diesen Traum so leichtfertig träumen ließ war die Tatsache, dass dieses Haus eigentlich ganz intakt aussah; mit ein paar Fenstern wäre dieses Haus möglicherweise sofort wieder zu retten gewesen.

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Alles deutete darauf hin, dass die noch recht gute Bausubstanz absichtlich zu Grunde gerichtet werden sollte, damit das Haus dann eines Tages abgerissen werden konnte. Gängige Praxis in westdeutschen Städten, wo Besitz zwar auch Verpflichtung nach sich zieht, die zuständigen Baubehörden aber schon mal gerne ein Auge zudrücken, wenn ein Hausbesitzer sich eines dicken Brockens entledigen möchte, der mit viel denkmalgerechter Arbeit wieder hergestellt werden müsste. Also: absichtlich jahrelang verrotten lassen, am Besten noch von Hausbesetzern „traktieren“ lassen, dann hat man die mitfühlende Bürgerschaft auf seiner Seite, dass dieser Schandfleck doch endlich unbedingt beseitigt werden müsse. Denkmalschutz hin oder her.

Bei dieser Ruine schien alles etwas anders: es gab kein Zeichen einer Hausbesetzung, fehlende Graffitis in den oberen Geschossen weisen darauf hin; keine Anzeichen einer Räumung. Das Haus sah eigentlich aus wie die Häuser, die man in alten Kriegsfilmen sieht: leere Fensterhöhlen mit zerborstenen Fensterscheiben wegen der Druckwelle, aber sonst wieder bezugsbereit.

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Warum in aller Welt nahm sich denn keiner dieser schönen Ruine an und rettete sie? Die Lage direkt am Hafen war doch malerisch und das große Grundstück daneben bot sich an, meinetwegen auch noch ein großes Bauvorhaben zu realisieren, welches die Investition in den Denkmalschutz mitgetragen hätte. Nein, es träumte seinen Dornröschenschlaf und keiner wollte dieses stolze Haus wachküssen.

Ich habe damals keine Fotos davon gemacht, aus welchem Grund auch immer. Etwas hat mich abgehalten.

Nun, nach acht Jahren, kam ich wieder zurück und es drängte mich zu sehen, was aus dem Haus geworden ist: es stand noch. Was für ein Glück! Ich nutzte die Gelegenheit und machte im untergehenden Sommerlicht endlich meine Fotos. Noch immer schien das stolze Haus unverändert unbeschadet, herrlich unbeschmiert, Träume des Wiederaufbaus herausfordernd.

Was aus dem Haus wird, kann man sich denken …