Prozession

In unserer Gesellschaft gibt es ja nicht mehr viele Rituale, die uns wirklich berühren und mit den ritualisierten Handlungen wirklich etwas zu tun haben. Vieles ist zum reinen Kommerz verkommen und hat nur noch symbolische Bedeutung, die aber nicht mehr das Gefühl ergreift.

Auch die Trauer ist zum profitablen Geschäft geworden und durch die vielen Pflichten zur Regelung der Bestattung werden die Angehörigen mehr von der wirklichen Trauer abgehalten und können sich nicht einfinden in ihr Gefühl. Schnell müssen sie wieder funktionieren in der Gesellschaft und so verschleppt man seine Gefühle …

Freunde von mir haben einen anderen Weg gefunden, ihre Trauer auszudrücken und das hat mich sehr berührt:

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Sie gedenken eines Freundes, der sich ein Jahr zuvor von der Siegessäule gestürzt hatte. Für ihn haben sie eine eigene Trauerprozession choreographiert.

Da sie alle Tänzer sind, finden sie natürlich ihren Ausdruck der Trauer im Tanz.

Sie starteten am 29.06. um 6 Uhr morgens auf der wenig befahrenen Straße des 17. Juni, die zum Todesort führt. Autofahrer verlangsamen das Tempo, viele fahren rechts ran und fragen mich, der die Prozession fotografisch dokumentiert. Ich erkläre ihnen den Sachverhalt und die meisten sind schwer beeindruckt und sympathisieren sehr mit dieser Ausdrucksform. Einige wenige sehen nur die blanken Busen der Tänzerinnen; eine Frau regt sich fürchterlich auf über dieses „unsittliche Spektakel“.

Die Polizei stoppt die Prozession dann nach einer guten Stunde wegen „Erregung öffentlichen Ärgernisses“, weil die Tänzerinnen barbusig sind.