Leerstand

So kurz nach der Wende ziehengibt es eine enorme Wanderungsbewegung: viele Ostler ziehen nach Westen und viele Westler ziehen in die Oststadteile. Bevorzugt: Prenzlauer Berg und Mitte.

So kommt es, dass eine große Bautätigkeit entsteht.

Die bisher im Amt tätige KWV (kommunale Wohnraumverwaltung) wird stadtteilabhängig umbenannt und beginnt mit der Beseitigung des Leerstand und der Zuweisung der Wohnungen an berechtigte Personen.

Noch immer gilt die Quadratmeterzahl als Kriterium, wieviel Platz ein einzelner Mensch zum Leben haben darf ungeachtet seiner finanziellen Möglichkeiten. Bis 50 qm wird einer Einzelperson zugestanden. Möchte man auf größerer Fläche leben, muss man eine Fehlbelegungsabgabe leisten. Da es gerade im Ostteil viele große bislang ungeteilte hochherrschaftliche oder proletarische Wohnungen gibt, die noch nicht der baumarktseligen Sanierungswelle übereifriger Verschlimmbesserungs- Hausbesitzer zum Opfer gefallen sind, ist das Rennen und die guten Wohnungen eine heftige Schlacht geworden. Klar im Vorteil sind die unzähligen eingewanderten Kinder wohlhabender Eltern aus dem Westen, die nach Berlin gezogen sind, um cool zu sein und um irgendwas mit Medien zu studieren. Sie können die Strafabgabe für Überbelegung gut bezahlen.

Die Ostler, die nicht wegziehen, haben schon kassandrische Anwandlungen und prophezeien zu Recht einen rasanten, baldigen Anstieg der Wohnungsmiete auf Westniveau.

Noch gibt es genügend Wohnungen und die Anzahl der verlassenen Wohnungen, die nach dem unvorhersehbar schnellen Mauerfall hektisch verlassen wurden von den gen Westen Geflüchteten, steigt. Mit jedem Monat werden neue, voll eingerichtete Wohnungen durch die Hausmeister geknackt. Dort steht dann noch das Bügeleisen auf dem Brett und die Betten sind nicht gemacht.

Lebensmittel in den Schränken; nur das Nötigste fehlt. Kleidung, persönliche Dokumente, kleine Gegenstände. Man wusste ja nicht, ob man nach der plötzlichen Maueröffnung wieder zurückkehren musste oder konnte. Wem jetzt seine alten Dinge nichts mehr bedeuten, kommt auch deswegen nicht mehr aus Hannover, Hamburg, München oder Bochum zurück.

So gibt es noch etliche Geisterwohnungen und viele, viele sanierungsbedürftige Leerstandswohnungen, die auf neues Leben warten.