Unterwegs sein

Sie glauben: „unterwegs sein, verreisen, ach das muss schön sein!“

Täuschen Sie sich da mal nicht!

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Oder warum glauben Sie, dass die Reisenden in den Zügen fast alles andere tun außer aus dem Fenster zu sehen?

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Eine junge Frau stickt. Ja, richtig! Sie stickt, als wäre sie ein junger Backfisch aus dem letzten Jahrhundert. Ein junger Mann döst, unbequem auf sein Gepäck gedrückt. Er hatte Glück, dass niemand neben ihm sitzt. Platz zu haben ist fast ein Lottogewinn in der Bahn. Ein anderer junger Mann starrt vor sich hin. Ihm gegenüber liegen, fast theatralisch dekoriert- seine Tennisschläger. Er ist nervös. Im Laufe der Fahrt erfahre ich seine Geschichte und seine Aufregung vor seinem bevorstehenden Turnier. Eine Frau mittleren Alters und ihr etwa sechzehnjähriger Sohn haben viel zu erzählen: Wie einst Betty Mahmoodi hatte sie ihren Sohn aus den Besitzfängen ihres muslimischen Exmannes geholt. Mit abenteuerlichen Reisen und Lebensängsten. Sie erzählt mir ihre Geschichte während wir alle im Korridor auf unserem eigenen Gepäck gepfercht sind. So ein Wochenendticket schweißt zusammen und macht jeden Menschen gleich.

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Ein alter Herr schimpft über den mangelnden Service der Bahnmitarbeiter. Es ist unglaublich kalt im Abteil. Die Kühlung lässt sich aber laut Servicepersonal nicht regeln. Ein angetrunkener bierbäuchiger Mittvierziger verschüttet sein gerade im Bord- Bistro erstandenes Bier im Gang und ist überfordert damit, sich auf den Beinen zu halten.

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Lange Tunnelstrecken lassen einen einnicken und einknicken: es ist nicht schön zu reisen. Überall ist es hässlich: tiefer gelegte Bahnstrecken mit Schallschutzwänden, hässliche Bebauung rund um die Hauptbahnhöfe der deutschen Städte. Überlandleitungen, Mobilfunkmaste, Betonschneißen für den Autoverkehr, unbequeme Plätze und unleidige Mitreisende noch und nöcher.

Das Ankommen ist schön. Das Woanders-sein ebenfalls. Aber das Reisen ist heutzutage nur eins geworden: reine, schnöde, unsinnliche Realität.